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Die Verantwortung


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#1 Thrawn372

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Posted 04 May 2021 - 11:06 AM

Sich der Endlichkeit des Lebens bewusst zu sein, eröffnet im Allgemeinen neue Gedankengänge. Was wäre wenn? Was wäre passiert, wenn ich jenen Weg nicht gegangen wäre? Wie wäre die Welt, wenn ich dieses oder jenes nicht getan hätte? Welche Entscheidung hätte ich anders treffen sollen, um dieses Ende hier zu vermeiden?
Ich saß im großen Lehnstuhl auf der Terrasse des Hauses und schaute über das weite Land, welches bis rüber nach New Carson ging, die Stadt, in der ich mal stationiert war. Musik drang aus der offenen Terrassentür zu mir, die Musikanlage hier war vom Feinsten und die Auswahl befriedigte jeden Geschmack. Es war eine der besten Bibliotheken, die ich jemals gesehen habe und war um ein vielfaches Größer als meine eigene, durchaus umfangreiche, Musikbibliothek. Als Kind hatte ich mir mal geschworen, dass ich einmal in solch einem Haus wohnen, auf der Terrasse sitzen und Musik und Wein genießen würde. Und jetzt, so kurz vor dem Ende, hatte ich herausgefunden, dass man dieses Haus hier, welches dem was ich mal haben wollte sehr gut entsprach, mieten konnte und es mir kurzerhand gegönnt und saß nun mit der besten Flasche Wein, die ich hatte auftreiben können, auf der Terasse und genoss die letzten Stunden und Minuten.
Der Wein war fantastisch und entsprach genau dem, was der Verkäufer am Raumhafen versprochen hatte; eine feine Süße, klar, strukturiert und mit Aromen von Gras, Apfel und ein wenig Limone. Irgendwie hatte ich ein schlechtes Gewissen, was den Verkäufer anging, hatte ich doch beim Bezahlen meinen echten Namen benutzt und das dürfte ihm so ziemlich jede Behörde auf den Hals geschickt haben, die es hier gab. Nun, ein wenig war es so geplant, der Verkäufer würde auf den Schwebervermieter zeigen und der würde sicherlich herausfinden können, wohin ich mit seinem Schweber gefahren war. Un das sollte sie dann zu mir führen...
Ich schaute wieder rüber nach New Carson und hing meinen Gedanken nach. New Carson, meine Geburtsstadt, meine Heimat, mein Untergang. Wie jeder Jugendliche hatte ich mich für BattleMechs begeistert und dank meiner guten Leistungen in der Schule konnte ich einen der guten Plätze hier an der NCU, der New Carson University, bekommen, wo ich es lernte einen Mech zu steuern. Nicht nur zu steuern, sondern auch in einem zu kämpfen, mit Herz, Kampfesgeist und Mut! Dinge, die ich im Überfluss hatte, als Jugendlicher zumindest, heute ist es eher Frustration, Angst und Aggression. Nichtsdestotrotz bin ich auch heute noch ein guter Kämpfer, ziemlich gut sogar, hatte mir als Pilot einen Namen erarbeitet. In meinem Mech, einem Vindicator, war ich ausgesprochen gut, dazu kamen auch die damals erworbenen Kenntnisse in Taktik und Waffenkunde. Damals galt ich als Talent, durfte sogar das Lanzenkommando übernehmen und bis zu jenem verhängnisvollem Tag galt ich als aufstrebender Stern.
Ich lachte bitter in mich hinein und stürzte ein Glas Wein hinterher. Dabei hatte ich mir geschworen, diese letzte Flasche zu genießen. Ich wollte mir einfach zum Schluss noch etwas gönnen! Zu viel war ich in den letzten Jahren umher gereist, hatte die verschiedensten Jobs in den verschiedensten Einheiten angenommen, allerdings immer nur für kurze Zeit. Immer wenn mein eigentlicher Name bekannt wurde, flog ich aus der Einheit. Einmal versuchte sogar meine eigene Lanze das Kopfgeld zu bekommen, was auf mich ausgesetzt war! Es war einfach nur noch zum kotzen!
Und alles wegen dieses einen Tages, an dem alles schief ging, was nur schief gehen konnte! Ich erinnere mich als ob es gestern gewesen wäre, dabei ist es jetzt gute 10 Jahre her. Wir wurden angegriffen, mal wieder die Capellaner. Aller paar Jahre probierten sie es aufs Neue und wurden jedes Mal besiegt. Die New Carson Fusiliers waren als Teil der Verteidigung des Planeten hier stationiert und auch wenn wir nur eine knappe Kompanie waren, war es ausreichend die Capellaner zu binden bis der Rest des verteilten Regiments ankam und sie, wieder einmal, vertrieben wurden.
Ich hatte das erste Mal eine eigene Lanze und war zur direkten Verteidigung der Stadt eingeteilt. Unheimlich stolz war ich, gewillt und überzeugt alles zu wissen und zu können, was dafür nötig war. Mein Befehl lautete, unter allen Umständen zu verhindern, dass die Capellaner in die Stadt eindrangen, da sich in dem nördlichem Teil der Stadt, wo ich auswärts platziert war, die sensible Infrastruktur der Stadt befand, Krankenhäuser und die Stadtverwaltung. Keine Schäden in der Stadt hatte mir mein Kommandeur, Colonel Mark Newark, noch eingeschärft, keine Schäden in der Stadt! Tja, wenn das auch dem Gegner bekannt gewesen wäre, würde ich jetzt nicht hier sitzen und auf das Ende warten!
Falsch, es war falsch! Ich musste mich auch der Wahrheit stellen, jetzt, wo es zu Ende ging. Eigentlich auch der Grund, warum ich hier war. Nicht der Gegner war in die Stadt eingedrungen, ich hatte ihn dort hin gelockt. Ich war mir so sicher, dass ich die Häuser als Schutz benutzen konnte! Ja, konnte ich, aber zu welchem Preis? Das Krankenhaus wurde mehrfach getroffen und an vielen Stellen komplett zerstört. Die Einschläge der Raketen waren schon fürchterlich aber die Einschläge der PPK waren noch verherender. Die Energie der Waffe ist so gigantisch, dass nicht nur eine normale Hauswand zu schmelzen beginnt, nein, sie breitet sich auch über die in einem Krankenhaus im Übermaße anzutreffenden Strom- und Datenleitungen im gesamten Komplex aus und fegt wie ein feuriger Sturm durch alle elektrischen Geräte. Stromversorgungen, Telefonleitungen aber auch Datenserver, Beatmungsgeräte und die Monitore der Überwachungsgeräte der Patienten! Alles weggebrannt, im wahrsten Sinne des Wortes....
Und das alles, weil die Capellaner auf der Jagd nach mir in die Häuser eingedrungen waren!
Ich seufzte tief, schon wieder eine Lüge! Nicht die Gegner hatten das Krankenhaus getroffen, ich hatte daneben geschossen! Ich war mir meiner Treffsicherheit und meiner Reaktionsgeschwindigkeit so sicher, dass ich nahezu blind um die Ecke geschossen habe, nur basierend auf den Sensordaten und meinem Gefühl. Aber der Gegner war nicht dort, wo ich dachte! Und so schoss ich mit allem was ich hatte die Strasse entlang und traf das Krankenhaus! Nicht der Gegner hatte das Krankenhaus getroffen, ich hatte das Krankenhaus getroffen! Alles meine Schuld, die ganzen Toten gingen auf mein Gewissen!
Und alles ordentlich aufgezeichnet von den Geschützkameras und meinen Kameraden. In dem Moment, als die ersten Flammen aus dem Krankenhaus aufstiegen, war mir meine Situation glasklar: Auf mich wartete das Kriegsgericht!
Also floh ich, ich schaffte es zum Raumhafen und bekam sogar eine Passage auf einem Frachter und weg war ich. Weg von der Schande, weg von der Katastrophe, die ich verursacht hatte.
Später habe ich erfahren, dass ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt wurde, hoch genug, um auf Jahre zu verhindern, dass ich meinen ursprünglichen Namen verwenden konnte. Ich nahm also unterschiedlichste Idenditäten an und schlug mich als Söldner durch. Immer von Einheit zu Einheit, immer so lange, bis mein wahrer Name bekannt wurde und ich aus der Einheit flog. Oder man eben versuchte das Kopfgeld für mich zu bekommen.
Ich war es so leid immer fliehen zu müssen! Immer auf der Flucht und jede Nacht diese Bilder im Kopf, die Blitze, als die PPK im rechten Flügel des Krankehauses einschlug und dann die Flammen, die sich durch die anderen Gebäudeteile fraßen und überall nur Tod und Verderben hinter sich liesen! Jede Nacht, jeder Tag, immer musste ich wegrennen.
Ehrlich gesagt aber hauptsächlich vor mir selbst, ich rannte vor mir weg, vor meiner Verantwortung. Vor der Verantwortung, der ich mich nicht gestellt hatte, vor der ich geflohen war. Deswegen war ich auch hier, es sollte jetzt endlich Schluss sein. Schluss mit dem Wegrennen, Schluss mit der Flucht vor der Verantwortung, ich will mich meiner Schuld stellen.
Bevor ich mich allerdings all dem stelle, will ich nochmal das genießen, was ich immer erreichen wollte. Als ein gemachter Mann auf der Veranda meines Hauses sitzen und gemütlich zum Abend eine Flasche Wein trinken! Ok, eigentlich sollte noch eine Familie dazu aber das hätte ich mir nicht mieten können. Daher nur das Haus und die beste Flasche Wein...
Ich sollte mich allerdings beeilen, denn ich kann hören, wie die Schweber die Auffahrt hochkommen und sich verteilen. Vermutlich werde ich das letzte Glas nicht ganz schaffen, denn zum runterstürzen ist der Wein eigentlich zu gut. Vielleicht sollte ich ihnen auch entgegen gehen und endlich meine Verantwortung wahrnehmen und mich meiner Schuld stellen. Dann ist es endlich vorbei und ich kann vielleicht wieder ruhig schlafen.
Zumindest so lange, bis das Kriegsgericht entschieden hat. Dann werde ich vielleicht für immer schlafen, aber der Alptraum hat wenigstens ein Ende.





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