Jump to content

Das Leiden Der Kleinen Leute


No replies to this topic

#1 Jeckel16

    Member

  • Pip
  • Fury
  • Fury
  • 12 posts

Posted 21 April 2017 - 11:27 AM

Der Beitrag zum Geschichtenwettbewerb "Bürgerkriegszeit" von Zamorra und mir, Abgabetermin: 21.04.2017 23:59h.
3095 Wörter


Das Leiden der kleinen Leute

19. November 3062
Calafell, Provinz Alarion
Lyranisches Commonwealth

“Mama, kann ich das noch essen?”, ihr Sohn blickte sie mit seinen großen, blauen Augen fragend an. Sofort schaute er wieder auf den Teller und bewachte das Kuchenstück darauf. “Frag deinen Vater, Schatz”, sie lächelte und strich ihm durch die kurzen, blonden Haare. Nur einen Moment später betrat Tobias die Küche und sie strahlte ihn an, sein Haar ist genauso blond wie das ihres Sohnes und in seinen Augen war das gleiche Funkeln wie vor sieben Jahren. “Hallo, mein Schatz”, er zog sie an sich und Schmetterlinge tanzten in ihrem Bauch, als er ihr einen Kuss gab. Sie hätte nicht gedacht, dass ihr dieses Glück vergönnt sein würde.
“Natürlich kannst du den Kuchen”, ihr Mann hob den lachenden Jungen in die Luft. Jauchzend drückte er dem großen Mann einen feuchten Kuss auf die Wange und setzte sich wieder an den Tisch.
Vorsichtig trat sie um die Kücheninsel herum, ihr Bein schmerzte heute und die Protese fühlte sich unangenehm an. Tobias blickte auf und sah, wie sie das Gesicht verzog. Sofort stand er auf und nahm ihr die dreckigen Teller ab, dann gab er ihr erneut einen Kuss.
“Baah! Mama! Papa!”, protestierte der Sechsjährige laut und mit verschmiertem Gesicht. “Das ist ja eklig!” Sie lachte leise und fühlte das Vibrieren von Tobias' Brustkorb an ihrer Seite, als er ebenfalls lachte.
“Maxi”, sagte dieser dann streng. “Das wir uns küssen bedeutet, dass Mama und Papa sich lieb haben.” Er stemmte die muskulösen Arme in die Seiten und Lenja musste unwillkürlich lächeln. “Ich weiß ja, Papa, aber das ist eklig!” Ein Grinsen trat auf Tobias' Gesicht. “Dich haben wir auch lieb!” Blitzschnell war er am Tisch und hob den spaßhaft jammernden Jungen hoch und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Dann lachte er wieder. “Hm, lecker. Schokolade.”
Ein warmes Gefühl entstand in ihrer Brust, als sie ihre beiden Jungs so vertraut miteinander sah. Glücklich lächelnd blickte sie aus dem Fenster und erstarrte.

Ein Jeep fuhr durch ihre Straße und das auf dem Dach montierte Maschinengewehr schwang von Seite zu Seite. “Tobias”, presste sie heraus, das warme Gefühl und das Lächeln waren plötzlich verschwunden. Sie waren nach Calafell gekommen, weil sie gehofft hatten den Kämpfen zu entkommen. Aber auch sie hatten von den Unruhen auf anderen Planeten gehört. Tobias arbeitete bei der Polizei und sie im Krankenhaus. Nur einen Augenblick später schaute Tobias neben ihr ebenfalls aus dem Fenster, Max auf der abgewandten Seite. Sein Gesichtsausdruck wurde urplötzlich ernst.
“Lenja, bring Maximilian zum Auto”, er setzte den Jungen ab. “Du musst jetzt ganz leise sein und bei deiner Mutter bleiben. Das ist ganz wichtig.” Der Junge nickte mit großen Augen. “Und du musst mir etwas versprechen. Pass gut auf deine Mutter auf, Max, ja?” Der Kleine räusperte sich. “Ich verspreche es, Papa”, antwortete er leise.
Stumm nahm sie ihren Sohn bei der Hand und ging mit ihm zur Garage, als das Telefon zu klingeln begann. Sie tauschte kurz einen Blick mit Tobias, dann hob sie den Hörer als Ohr. “Lenja Marek-Klein”, meldete sie sich knapp. “Sie werden im Krankenhaus benötigt, Frau Doktor. Es ist zu einer Schießerei gekommen und wir brauchen Sie hier. Ich weiß, es ist Ihr freier Tag, aber das ist ein Notfall.” Lenja nickte stumm und bejahte dann. “Ja, ich komme.” Schnell beendete sie den Anruf und schaute ernst zu Tobias. “Ich muss ins Krankenhaus. Bring Max zu deinen Eltern auf's Land und bleib bei ihm. Ich komme nach sobald ich kann.”
“Lenja”, er schaute sie bittend an, aber sie konnte nur den Kopf schütteln. “Ich muss, Tobias. Passt auf euch auf.” Sie beugte sich zu Maximilian hinunter, drückte ihn fest an sich und gab ihm einen Kuss. Dann stand sie auf und umarmte Tobias, sie hörte seinen starken Herzschlag und er küsste sie sanft. “Pass auf dich auf, mein Schatz”, sie las Sorge in seinen Augen. “Mache ich”, flüsterte sie, dann drehte sie sich um und verließ ihr kleines Haus. “Papa, warum sieht Mama so traurig aus?”, hörte sie Maximilian fragen, verstand aber Tobias' Antwort nicht mehr. Leicht zitternd setzte sie sich in ihren kleinen Wagen und fuhr zum Krankenhaus.

Auf dem Weg musste sie einer Straßensperre ausweichen und hörte in der Ferne das Stampfen von Mechs. Sie erschauderte.
Im Krankenhaus tauschte sie ihre Kleidung gegen weißes Shirt, Hose und Kittel. Die schulterlangen, braunen Haare band sie stramm zurück.
“Doktor?”, eine junge Frau mit ebenfalls weißer Kleidung eilte ihr entgegen. “Wir benötigen Sie in Saal 3, Schussverletzung.” Lenja setzte sich in Bewegung, ihre Protese schlug trotz Schuh laut auf den Boden. “Durchschuss?”, fragte sie knapp. Die junge Frau verneinte und sie kniff die Lippen zusammen und beschleunigte ihre Schritte. Noch während sie den Saal betrat, zog sie Handschuhe, Mund und Haarschutz über.
Auf dem Tisch lag ein Mann. Nein, sie berichtigte sich. Der Junge war maximal sechzehn Jahre alt und sein linker Arm war eine blutige Masse. Zum Glück war der Junge bereits ohne Bewusstsein und eine Anästesieschwester stand neben ihm bereit. “Assistieren Sie mir”, ordnete sie der jungen Frau hinter ihr knapp an. Vorsichtig begutachtete sie den Arm und stellte fest, dass der Arm unterhalb des Ellbogens kaum mehr als solcher zu erkennen war. Ihr fiel keine Handfeuerwaffe ein, die einen Menschen so zurichten konnte, aber sie kannte die Spuren, die diese Kugeln ins Fleisch rissen. Sie stammten von einem Maschinengewehr, eventuell einer MG MiniGun von General Motors.
Der Junge hatte Glück gehabt, dass nur sein Arm getroffen worden war. Erneut inspizierte sie den Arm und versuchte das richtige Vorgehen zu ermitteln. Mit schwerem Herzen traf sie schließlich die hier und jetzt einzig mögliche Entscheidung. “Wir müssen amputieren, die Hand ist verloren”, sagte sie tonlos. Die Hand war eigentlich als Formulierung nicht zutreffend, denn sie existierte praktisch nicht mehr als zusammenhängendes Körperteil. Entschlossen griff sie nach den Instrumenten.

Eine gute Stunde später kam sie aus dem Saal und wusch sich die Hände. Ihr Oberteil klebte schweißnass an ihrem Rücken. Der schwere Geruch von Blut vermischte sich langsam mit dem Geruch des Desinfektionsmittels. Lenja beobachtete, wie zwei Schwestern den immer noch weggetretenen Jungen hinausschoben. Sie hatte nicht so viel Arm entfernen müssen, wie sie gedacht hatte. Eine Schwester winkte sie wieder herein und sie musterte erneut einen jungen Mann, der auf der Liege vor ihr lag. Dieser hatte nicht so viel Glück gehabt.
Drei Stunden und vier Patienten später wusch sie sich akribisch die Hände und tauschte ihren Kittel gegen einen sauberen.
“Doktor?”, hörte sie die ruhige Stimme der jungen Frau. “Ja?”, sie drehte sich um. “Eine Streife hat uns angefunkt. An der Ecke Schnittstraße-Rosenweg gab es erneut Schießereien. Die Sanitäter sind schon alle im Einsatz, aber diese Menschen benötigen Hilfe.” Lenja nickte automatisch und straffte die Schultern. “Dann lassen Sie uns keine Zeit verlieren”, sagte sie entschlossen.
Zwei weitere Pfleger und ein ehemaliger Sanitäter, der seine Frau im Krankenhaus besucht hatte, schlossen sich ihnen auf dem Weg in die Garage des Krankenhauses an. Sie waren innerhalb von knapp fünfzehn Minuten an der Ecke Schnittstraße-Rosenweg und Lenja sprang aus dem Wagen, dicht gefolgt von der jungen Frau. Beide hatten sich im Wagen befindliche, rote Sanitätskleidung übergeworfen. Besserer Schutz und bessere Erkenntlichkeit, sie fasste ihre Tasche fester. Dichter Staub hin in der Luft, während sie sich geduckt der nächsten Stellung näherte. “Verletzte?”, fragte sie laut und der Staub brannte in ihren Augen und ihrem Hals. Fast hätte sie den leisen Antwortruf überhört. Schnell lief sie in Richtung des Rufs und kniete sich neben einen am Boden liegenden Mann. Routiniert ließ sie ihren Blick über den Rufer und seine Verwundung schweifen. Der Soldat war Anfang dreißig und trug die Uniform der Miliz, ein provisorischer, blutiger Verband zierte seinen rechten Oberschenkel. “Der muss ab”, sagte sie ruhig und nahm mit einem dankenden Nicken die Schere, die die junge Frau ihr reichte. Vorsichtig durchtrennte sie den Verband und säuberte die Wunde mit einem sauberen Tuch und Desinfektionsmittel. Bei der Verletzung handelte es sich um einen heftig blutenden Streifschuss durch die oberen Haut- und Fleischregionen. Ein Projektil konnte sie nicht erkennen, deshalb klammerte sie die Wunde, legte ein antiseptisches Tuch darüber und erneuerte den Verband. “Mein Rat an Sie, Soldat: Ziehen Sie sich zurück!”, ernst blickte sie den Jüngeren an, der entschieden den Kopf schüttelte. “Die Hunde bringen uns um, Miss”, sagte er mit leichtem Akzent. Er gehörte anscheinend zu den Umsiedlern aus den Vereinigten Sonnen, die sich hier auch ein ruhigeres Leben versprochen hatten. “Beim heiligen Blake, nur Gott allein weiß, warum man sich gegenseitig umbringen muss”, schimpfte sie leise. “Tun Sie mir einen Gefallen und bleiben Sie am Leben.” Sie packte ihre Utensilien zurück in die Tasche und richtete sich gebückt auf.

Ein lauter Ruf rechts von ihr ließ sie aufhorchen. “Sanitäter!” Sie drehte sich um, als sie ein Laut wahrnahm, das ihr aus der Vergangenheit vertraut vorkam, sie hatte es zuletzt vor acht Jahren auf Apollo, während des Krieges gegen die Claner gehört. Es war das Geräusch einer Granate, die auf den Beton aufschlug.

Ihre Erstarrung währte nur einen Herzschlag, dann folgte die Warnung “Achtung! Granate!” und sie warf sich in die nächste Deckung. Ihre Schulter traf heftig auf dem Boden auf, sie war nicht mehr so jung wie vor sieben oder acht Jahren. Und schon damals hatte sie Gefechtseinsätze gehasst. Dann explodierte die Granate und ihre Ohren klingelten. Sie hatte, wie trainiert, den Mund weit offen gehalten, damit ihre Trommelfelle von der Druckluft nicht zerrissen würden.
Vorsichtig löste sie sich aus ihrer Haltung und tastete ihre Gliedmaßen ab. Im ersten Schreckmoment erstarrte sie, als sie ihren linken Fuß nicht spüren konnte. Dann erinnerte sie sich an ihr letztes Gefecht und daran, dass sie schon lange kein linken Fuß mehr besaß.

Geduckt stemmte sie sich auf die Beine, ihre Protese fühlte sich schwer und fremd an, als sie den ersten Schritt machte. Stumm lief sie zu der Stelle, wo eben der Ruf erklungen war und duckte sich hinter eine große Panzersperre. Als sie sich umsah, sank ihr der Magen buchstäblich in die Kniekehlen. Anscheinend hatte sie das Ziel der Granate gefunden. Drei Bündel lagen zusammengekrümmt auf dem Boden und der schwere Geruch von Blut stieg ihr in die Nase. Sie wollte sich gerade abwenden, da bemerkte sie, wie eines der Bündel sich stöhnend bewegte. Schnell hastete sie an seine Seite und tastete nach dem Puls. Flatternd und schwach fühlte sie ihn unter ihren Fingern. Sie blickte in das Gesicht des Verletzten und wischte das Blut vorsichtig ab, das dem jungen Mann aus dem Mund lief. Die weichen Gesichtszüge und die Angst in seinen Augen ließen ihn klein, jung und verletzlich erscheinen. “Nich'... gut, Doc?”, würgte er zwischen zwei qualvollen Atemzügen mühsam hervor. Lenja zwang ein Lächeln auf ihre Lippen und nickte. “Nicht gut, Soldat.” Mit ihren Mitteln konnte sie ihm nicht helfen und sie wusste es. Sie sah das er es ebenfalls wusste.
Behutsam nahm sie seine blutige Hand in ihre und sah ihm fest in die Augen. “Sehen Sie mich an”, sagte sie ruhig und hielt seinen flackernden Blick. Seine blauen Augen erinnerten sie schmerzhaft an Max und Tobias, aber sie schob den Gedanken an sie zur Seite. Dieser Mann brauchte sie jetzt. “Konzentrieren Sie sich auf meine Stimme, nur auf meine Stimme.” Vorsichtig löste sie eine Hand aus seinem verkrampften Griff und fasste in ihre Tasche. “Ich.. ich möchte nicht sterben”, hörte sie seine leise Stimme. Flehend blickte er sie an und Todesangst und Schmerzen standen in seinen Augen. “Ich weiß”, flüsterte sie und setzte die Spritze mit dem Schmerzmittel an seinen Arm. Er würde den Stich nicht spüren, das wusste sie. Außer seine Schmerzen zu unterdrücken konnte sie nichts mehr für ihn tun. Sein Puls und seine Atmung wurden immer schwächer bis seine Brust sich schließlich zum letzten Mal senkte und dann still lag. Sanft schloss sie seine Augen und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Wie immer, wenn sie jemanden verlor, machte sich ein leeres Gefühl in ihr breit. Aber sie musste es abschütteln, es gab noch mehr Menschen, die ihre Hilfe benötigten. Suchend sah sie hoch und erkannte eine dunkle Silhouette, die sich durch Staub auf die Stellung zu bewegte. Einen Augenblick später registrierte sie die Vibrationen, die die Füße des Mechs verursachten. Erleichtert erkannte sie die Maschine als Mech der Mediumklasse. Diese waren nicht primär auf Infanteriebekämpfung ausgelegt. Ihre Erleichterung erlosch, als sie die langen Läufe zweier Maschinengewehre am linken Arm des Mechs erkannte. Sie wirkten schwerer und etwas wuchtiger als die ihr bekannten Waffen, aber sie wusste nicht, dass der Mech einer Lanze von Prototypen mit neuartigen Waffen angehörte. Bei den beiden Waffen handelte es sich um eine neue, schwere Art von Maschinengewehren. Aber all das wusste Lenja nicht, als sie sich hinter ihre Deckung duckte und nach ihren Mitarbeitern Ausschau hielt. Ein Soldat hielt gebückt auf sie zu und gab ihr ein Handzeichen, das sie nicht deuten konnte. Hilflos hob sie die Schultern und zeigte auf ihre rote Jacke. Der Soldat kam schnell auf sie zu und wollte ihr eine Waffe in die Hände drücken. “Nehmen Sie die”, hörte Lenja die raue Stimme einer Frau durch den Helm. “Nein”, wehrte sie entschlossen ab. “Ich bin Ärztin.” Sie hatte geschworen Leben zu retten, nicht sie zu beenden. “Wie sie meinen”, die Soldatin hob ihr Gewehr vor die Brust. “Verschwinden Sie, ich geb Ihnen Deckung, Doc. Hier geht's gleich ab!” Sie zwang sich zu einem Nicken und fasste die Tasche fester, als sie erneutes Geschützfeuer hörte. “Was passiert hier nur”, murmelte sie leise und die Soldatin hinter ihr schnaubte. “Die Schnapsköpfe rufen ihre heißgeliebte Katherine zum Archon aus, als ob es Victor gar nicht geben würde. Sie wollen das Commonwealth zur Lyranischen Allianz machen.” Lenja brummte nur nichtssagend. “So”, die Soldatin legte das Gewehr an die Schulter. “Und jetzt laufen Sie, Doc, wie Sie noch nie gelaufen sind.” Die Ärztin klopfte sich auf die Protese, die ihren linken Fuß ersetzte und nickte. “Ich tu mein Möglichstes.” Seltsam losgelöst betrachtete sie die staubverhangene Situation, dann rannte sie so schnell sie konnte hinter einen umgestürzten Müllcontainer. Hinter ihr hörte sie Schüsse, aber sie drehte sich nicht um.
Einige rasende Herzschläge später kam die Soldatin neben ihr keuchend zum Liegen. “Sind Sie verletzt?”, Lenja beugte sich zu ihr und zog die Frau weiter in die Deckung. “Nur ein Kratzer”, versetzte diese und richtete den Oberkörper auf. “Weiter.” Lenja wollte gerade wieder los laufen, da fühlte sie eine schwere Erschütterung und stürzte. Mühsam stemmte sie sich hoch und blickte vorsichtig über den Rand des Containers. Was sie sah ließ ihren Atem stocken.

Aus dem Staub schälte sich — ähnlich wie zuvor der andere Mech — eine annähernd humanoide Gestalt heraus. Der Boden bebte unter den langsamen fast zögerlichen Schritten des Stahlgiganten und Lenja atmete zitternd aus. Einen Mech wie diesen hatte sie noch nie gesehen und er wies keine Ähnlichkeit zu den ihr bekannten Mechtypen auf. Groß prangte eine Steinerfaust auf der Brust der Maschine. Der neue Mech überragte den Mediummech um einiges und mehrere Rohre kamen aus seinem Torso und seinen Armen.
Lenja wusste nicht, dass es sich bei dem unbekannten Mech um einen hundert Tonnen schweren Annihilator 2A handelte, der 3048 das erste Mal als Prototyp produziert worden war. Die Arme liefen in eine schwere und eine kurze PPK aus, die Seitentorsi trugen schwere Versionen der Ultra-Autokanonen und ein leichtes Maschinengewehr zur Abwehr von Infanterie, während mittig im Torso zwei mittelschwere Laser mit erhöhter Reichweite saßen. Der Mech befand sich auf Calafell, um Waffentests durchzuführen. Deshalb wich sein Design etwas von den ursprünglichen Vorstellungen der Entwickler ab und trug statt bewährter Technik größtenteils Prototypen.
Obwohl Lenja das Zerstörungspotential des Mechs nicht kannte, erstarrte sie und konnte beobachten, wie eine erneute Erschütterung ausgelöst wurde. Die stammte von dem kleineren Mech, der von den Waffen der Stahlgiganten getroffen und dadurch in eine Hauswand gedrückt wurde. Die Wände des Wohnhauses stürzten ein und begruben die Maschine halb unter sich. Lenja betete, dass sich in dem Gebäude keine Menschen befunden hatten.
Schockiert sah sie, wie der riesige Stahlgigant sich langsam der am Boden liegenden näherte und die Mündung des rechten Waffenarms auf das Cockpit der leichteren Maschine richtete. Das Knacken der Rückkopplung der Außenlautsprecher hallte laut wieder, dann erklang die metallische Stimme des Annihilatorpiloten. “Ergib dich, im Namen der Archontin Katherine Steiner!”, verlangte dieser und schob drohend die kurze Waffe näher an das Cockpit. “Victor Steiner-Davion ist der einzig wahre Regent”, antwortete der Pilot des Mediummechs entschlossen und Lenja wandte den Blick ab, als die PPK sich auflud.
“Für wen kämpft ihr?”, fragte sie die Soldatin leise und ein Knoten bildete sich in ihrem Bauch. “Für Victor”, erwiderte die Soldatin ebenso leise und der Knoten in Lenjas Bauch verhärtete sich. “Sie müssen hier weg, Doc.” Die andere Frau fasste sie am Ärmel und zog sie zu sich herunter. “Laufen Sie zu ihrem Wagen und verschwinden Sie! Drehen Sie sich nicht um!”, eindringlich starrte sie die Ärztin an und Lenja sah den entschlossenen Ausdruck im Gesicht der anderen Frau. “Ich —”, setzte sie an, aber die Soldatin unterbrach sie. “Sie sind wichtiger als ich, Doc.” Ernst blickte die andere Frau Lenja an. “Sie sind Ärztin. Jetzt gehen Sie und lassen mich meinen Job machen!”
Lenja nickte, wandte sich um und begann gebückt in Richtung des Wagens zu laufen, da hörte sie das Quietschen, das beim Drehen eines Torsos entstand. Vor ihr explodierte eine Geschützstellung und sie sah Körper durch die Luft fliegen. Einige Schritte weiter schlug eine Gestalt in roter Jacke auf den Boden auf und sie hastete darauf zu. Die leeren Augen der jungen Krankenschwester schauten zu ihr herauf, als sie sich über sie beugte. Blut vermischte sich mit Staub und Lenja schloss vorsichtig die Augen der jungen Frau. Sie kannte noch nicht einmal deren Namen. Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie weiterlief an den Körpern vorbei, die wie Puppen verteilt lagen. Ihre Protese blieb an etwas hängen und sie stürzte neben einer Leiche ohne Kopf zu Boden. Das rettete ihr wahrscheinlich das Leben, als eine Salve aus einem Maschinengewehr über sie hinweg fegte. Ihre Augen waren auf den Körper neben ihr gerichtet. Weiße Rosen lagen zerdrückt unter dem Bein auf das sie schaute und rote Flecken zierten die Blütenblätter. Am rechten Oberschenkel erkannte sie einen Verband. Sie wollte weinen, schreien und toben, aber ihre Stimme versagte. Wie sehr hoffte sie, dass Tobias ihren Max in Sicherheit gebracht hatte. Er würde ihren Kleinen beschützen. Ein ersticktes Geräusch kam über ihre Lippen. Sie musste es zu ihnen schaffen, wollte nichts mehr, als sie in die Arme zu schließen und nie mehr loszulassen.
Der fröhliche Morgen schien schon Jahre entfernt zu sein.





1 user(s) are reading this topic

0 members, 1 guests, 0 anonymous users